01.08.24 ● Es ist zu viel – immer. Wer im Urlaub oder beruflich in einem Hotel absteigt, freut sich einerseits an der Vielfalt des Frühstückbuffets. Aber es gibt auch eine Kehrseite: Große Mengen der vorbereiteten Leckereien werden weggeworfen, wenn der letzte Gast sein Frühstück eingenommen hat. Nur ein Beispiel, das zeigen soll: Wir sind ein Volk von Verschwendern.
Ach was, ganz Europa verhält sich desaströs, wenn es um den Umgang mit Lebensmitteln geht. In der EU werden laut EU-Kommission im Jahr fast 59 Millionen Tonnen weggeworfen. Das entspricht rund 131 Kilogramm pro Kopf oder, in Geld ausgedrückt: etwa 132 Milliarden Euro. In Deutschland sind es elf Millionen Tonnen, die jedes Jahr im Müll landen – der größte Teil davon aus den privaten Haushalten.
Das ist natürlich ethisch, wegen des Hungers in der Welt, aber auch volkswirtschaftlich ganz schön daneben. Wir lassen uns die Fertigung und die Beseitigung von Lebensmitteln Milliarden kosten. Wer will das noch verstehen, wenn man weiß, dass die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen allein auf Abfälle und Verluste der Lebensmittelproduktion zurückgeht.
Es bedarf dringend eines neuen Denkens, das haben auch die europäischen Staaten verstanden. Die Lebensmittelverschwendung soll bis 2030 um bis zu 30 Prozent gesenkt werden. Die Vereinten Nationen wollen die Verschwendung gar um die Hälfte reduzieren. Es muss etwas passieren, vor allem in den Köpfen von uns allen, denn wir sind zu schnell dabei, Lebensmittel wegzuwerfen. Und dabei gerät ein Begriff in den Fokus, der Experten als ein Schlüssel zum nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln gilt: das Mindesthaltbarkeitsdatum.
Dieses Wort ist uns Verbrauchern bewusst, schließlich ist es im Supermarkt auf nahezu allen Lebensmitteln aufgedruckt – und wird seit Jahren falsch interpretiert. Angegeben ist das Mindesthaltbarkeitsdatum mit den Worten „mindestens haltbar bis …“. Sind bestimmte Lagerungsbedingungen erforderlich, um die Haltbarkeit zu gewährleisten – z. B. die Einhaltung konkreter Temperaturen – so steht auf der Verpackung in Verbindung mit der Datumsangabe ein entsprechender Hinweis: „bei +5°C mindestens haltbar bis …“ oder „Kühl und trocken lagern. Mindestens haltbar bis …“.
Um es kurz zu machen: Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist für viele Menschen eine Art Dogma. Oder anders ausgedrückt: Viele interpretieren das Datum als eine Aufforderung: Bis hierher und nicht weiter. Als ob danach, wenn schon nicht der „Sensenmann“, aber doch schwere gesundheitliche Gefahren lauern würden. Das ist natürlich Unsinn, aber auch Unsinn kann sich in den Köpfen festsetzen. Mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum garantiert der Hersteller bis zu dem jeweiligen Tag, dass Joghurt, Käse, Wurst oder andere Leckereien ihre spezifischen Eigenschaften bei Aussehen, Geschmack und Geruch behalten. Nicht mehr und nicht weniger.
Ein Produkt verdirbt jedoch nicht automatisch, sobald es das Mindesthaltbarkeitsdatum überschreitet: Viele Lebensmittel können noch Tage, Wochen oder gar Monate darüber hinaus bedenkenlos verzehrt werden. Insofern gilt: Menschen sollten sich ihrer Verantwortung bewusst werden und ihren Sinnen vertrauen: Man sollte sich Lebensmittel, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, genau anschauen, in sie hineinriechen und schmecken – in dieser Reihenfolge. Und wenn der eigene Eindruck positiv ist, sollte man guten Gewissens genießen. Verschlossene Joghurts sind sehr oft auch noch Wochen nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum schmackhaft, Konserven können noch Monate später verwendet werden.
Etwas anderes ist das Verbrauchsdatum. Letzteres wird bei in mikrobiologischer Hinsicht besonders leicht verderblichen Lebensmitteln statt des Mindesthaltbarkeitsdatums angegeben. Dies ist beispielsweise erforderlich bei rohem, zerkleinertem Fleisch wie Hackfleisch, Geschnetzeltem oder rohen Würsten sowie bei Geflügel, Fisch und Sushi. Bei diesen Lebensmitteln müssen unbedingt die angegebenen Lagerungsbedingungen, sprich die Kühltemperaturen, eingehalten werden.
Es braucht also einen Sinneswandel auf breiter Front: Zuallererst geht es darum, weniger Lebensmittel wegzuwerfen. Und der Wert von Lebensmitteln in Deutschland müsste neu justiert werden. Dass im Agrarbereich etwa Kartoffeln, Gurken oder Möhren nur deshalb nicht in die Geschäfte gelangen und sofort vernichtet werden, weil sie nicht den optischen Ansprüchen von Handel und Verbrauchern entsprechen, ist ein Anachronismus.
Deutschland sollte sich ein Beispiel an Nachbarstaaten nehmen. Während bei uns immer noch im Wesentlichen appelliert wird, schreitet man im Ausland zur Tat. In Frankreich etwa bekommen Händler bei Lebensmittelspenden Steuergutschriften. In Tschechien drohen sogar hohe Geldbußen, wenn unverkaufte Lebensmittel nicht gespendet werden. Und in Italien sorgt ein Gesetz dafür, dass Organisationen, die Essensspenden entgegennehmen, rechtlich wie Endverbraucher behandelt werden; so müssen sie letztlich nicht für Hygienemängel haften. In Österreich schließlich sind große Händler vierteljährlich verpflichtet, transparent über ihre Lebensmittelentsorgung zu berichten.